In 'belebter Ruhe'

Die Klarissen Schwester Bernadette Bargel und Schwester Magdalene Bauer schreiben über ihr Leben in Klausur.

 

Schwester Bernadette Bargel hat im Alter von 15 Jahren das Leben der Klarissen kennen gelernt. Ihr erster Gedanke: "In so ein Kloster kriegen mich keine zehn Pferde rein." - Mit 17 trat sie ein.

Schwester Magdalene Bauer betrat als 16-jährige Schülerin erstmals ihr heutiges Zuhause - um "ein wenig die Klarissen zu ärgern". Doch: "Ich hörte sie in der Kapelle singen, meine Knie zitterten - und ich wusste: Das ist meins!" - Zwei Jahre später trug sie das Postulantenkleid.


Aller Anfang ist schwer. Auch der Ihres Lebens im Kloster, in Klausur ?
SR. BERNADETTE: Damals, vor dem Konzil, lebten wir noch abgeschlossener, hinter Gittern und Vorhängen. Und ich war sehr jung eingetreten, in einen Orden mit langer Tradition. Viele Gebräuche habe ich zunächst nicht verstanden, nur mit vollzogen, innerlich aber gedacht: Das kann man auch anders gestalten. Kleine Zeremonien beim Gebet oder Essen etwa und im Umgang miteinander. Man durfte beispielsweise nur kniend mit der Äbtissin sprechen. - Heute hat sich vieles grundlegend geändert. Wir konzentrieren uns auf das Wesentliche.

Was ist das Wesentliche in einem kontemplativen Leben?
SR. BERNADETTE: Das Dasein vor Gott für die Menschen. Wir öffnen uns im Gebet für Gott und die Mitmenschen, für die vielfältige Not in der Welt und des einzelnen, der an unsere Pforte kommt…
SR. MAGDALENE: …und diese Not tragen wir mit und für die Menschen vor Gott.

Warum ist die Abgeschiedenheit der Klausur für diesen Dienst wichtig?
SR. MAGDALENE: Sie ist ein Privileg: ein Raum, der mich vor der Zerstreuung bewahrt, der die Stille möglich macht, in der ich wirklich vor Gott stehen kann - mit meinen Gedanken, meinem Wesen. Draußen ist es unendlich laut. Ich brauche diesen Raum hier drin, um Gott zu begegnen. Nicht dass man ihm draußen nicht begegnen könnte, aber es ist schon eine besondere Form und Intensität. Also: Klausur ist ein Schutzraum.

Ihr Kloster liegt im Zentrum von Kevelaer, dem zweitgrößten Wallfahrtsort Deutschlands. Und hoch sind die Mauern um Sie herum auch nicht. Wie definieren Sie "Klausur"?
SR. BERNADETTE: Die Mauern machen die Abgeschiedenheit der Klausur nicht aus. Ich kann mit sehr hohen Mauern sehr zerstreut leben. Ich kann aber auch hinter einer niedrigen Mauer ganz bei Gott sein.

Was also macht Klausur aus?
SR. BERNADETTE: Dass ich - positiv verstanden! - getrennt bin von dem Geschehen draußen.
SR. MAGDALENE: Klausur meint: einen inneren Raum der Ruhe zu bewahren. Die äußeren Mauern sind daher nur ein Symbol.

Haben Sie sich verändert, seit sie hier sind?
SR. BERNADETTE: Man wird sehr empfindsam für Dinge, die passieren. Sensibler für das, was gesprochen und auch das, was nicht ausgesprochen wird.
SR. MAGDALENE: Man hat die Ruhe verinnerlicht - ohne es selber noch zu merken.

Ist die Ruhe nicht auch manchmal beklemmend?
SR. BERNADETTE: Man braucht eine längere Zeit, um diese Ruhe zu beleben. Manchmal ist es anstrengend, sie nicht als belastend zu empfinden, denn sie bringt auch schon mal ein Stück Einsamkeit mit sich.

Wie belebt man die Ruhe?

SR. BERNADETTE: Stille ist kein eigenbrödlerisches sich Zurückziehen. Auch in der zurückgezogenen Stille setzte ich mich ja aus, belebe sie somit - mit mir.

 

Braucht man nicht einen "input?" - wie man heute sagt: Eine Anregung von außen?
SR. MAGDALENE: Wir kochen ja nicht nur im eigenen Sud. Wir haben Schulungen, Freunde, Briefkontakte. Man braucht den Austausch mit anderen. Der ergänzt die Stille.
SR. BERNADETTE: Genau das wollte ursprünglich auch unsere Ordensgründerin, die Heilige Klara: Sie hat ja nicht das Leben in Klausur gesucht. Sie hat diesen Lebensraum gefunden, um mit ihren Schwestern wirklich schwesterlich zu leben. Sie schreibt: "Immer und überall können die Schwestern das, was für sie notwendig ist, sagen!" Wir nehmen heute gar nicht mehr wahr, wie revolutionär dies damals war.

Sie verstand die Klausur als Raum der Selbstbestimmung?

SR. MAGDALENE: Ja! Auch ihre Regel spricht davon: Wenn eine Schwester etwas geschenkt bekommt, dann soll sie es haben. Wenn sie es nicht braucht, soll sie es einer bedürftigen Schwester schenken. Nicht nur die Äbtissin sollte also für alle sorgen. Ihr ging es darum, dass die Schwestern ein Auge füreinander hatten.

Ist das etwas, was man in einer abgeschlossen lebenden Gemeinschaft besser entwickeln kann: Das Auge für den Anderen?
SR. BERNADETTE: Ja, das glaube ich. Das Auge wird geschult. Man spürt, was für die Menschen bedrängend ist, auch wenn es noch nicht ausgesprochen ist oder gar nicht ausgesprochen werden kann.

Sie wollen für andere vor allem im Gebet da sein. Kann man immer beten - auf das Kommando des Glockenschlags?
SR. MAGDALENE: Oft trägt man einfach nur seinen Körper in die Kapelle. Das ist einfach so. Gedanklich ist man eventuell ganz woanders. Da ist es eine Frage der Selbstdisziplin, sich zurückzuholen und vor Gott zu stellen, wenn man mit den Gedanken spazieren gegangen ist. Man muss sich die Verantwortung bewusst machen: Ich stehe auch für andere hier. - Man lernt es, aber es kostet Mühe - sicher bis zum Ende.

 

Was würden Sie am Leben in der Klausur ändern, wenn Sie es könnten?
SR. BERNADETTE: Wir haben im Laufe der Jahre immer nach neuen Klausurformen gesucht und vieles geändert. Es war ein mühsamer, aber gemeinsamer Weg: Das Gitter im Sprechzimmer wurde entfernt, wir feiern mit den Gläubigen die Liturgie in der Kapelle… Im Moment kann ich es so, wie es ist, akzeptieren. Im Moment! - Ich weiß nicht, wie die Entwicklung weitergehen wird.

Welchen Tipp würden Sie einer jungen Frau geben, die in Klausur leben möchte?
SR. MAGDALENE: Man muss ein weites Herz mitbringen, sonst erträgt man die Enge nicht, sonst macht sie einen kaputt. Und sie muss ein froher Mensch sein - fromm kriegen wir hier alle (lacht)!
Und sie muss ein normales Verhältnis zu sich und zu anderen haben, zur Nächstenliebe und zum Egoismus. Wer sich selbst nicht mag, kann auch mit anderen meist nicht umgehen.

Man kann also in die Klausur hineinwachsen?
SR. MAGDALENE: Ja! (lacht) - Ohne verschroben zu werden!

 

Können Sie Ängste formulieren, die aus dem Leben im Kloster resultieren?
SR. BERNADETTE: Zunächst: Die Angst vor der Zukunft, um die Gesundheit, um die Familie… - Ängste also, die alle Menschen haben, die bleiben auch hier im Kloster erhalten. In den klösterlichen Gemeinschaften ist aber die Angst um die Zukunft speziell, die Frage: Was wird aus uns? Wir müssen wach sein: Was will Gott von uns? Da ist die Angst davor, das nicht zu erkennen!

Sehnen Sie sich nicht auch mal nach Lärm, nach lebendigem Kindergeschrei?

SR. BERNADETTE: Nach Lärm eigentlich weniger.

Wonach sehnen Sie sich?
SR. BERNADETTE: Es ist ganz wichtig, in der Gemeinschaft einen gesunden Ausgleich zu schaffen, indem man auch mal einen schönen Abend gestaltet, miteinander Freude hat.
SR. MAGDALENE: Wir können sehr gut miteinander feiern. Freude muss auch mal sprudeln. Warum nicht? Gerade wir haben Grund zur Freude: wir gehören zu Gott!

Haben Sie nicht mal kleine "Sehnsüchte" - nach einem Stück Kuchen oder ähnlichem?
SR. BERNADETTE: Wenn man vernünftig mit der Gemeinschaft lebt, dann bekommt man ein Gespür dafür: Was ist jetzt dran? - Und dann backen wir auch mal einen Kuchen. Ich finde das wichtig.

 

Ist "privat" ein Begriff für Sie? Gemeinschaft ist die eine Sache - aber können Sie auch "Ich" sagen.
SR. BERNADETTE: Es ist sehr wichtig, dass die einzelne Schwester ihre Persönlichkeit entfalten und leben kann...
SR. MAGDALENE: …auch dass sie ihre Art der Frömmigkeit entfalten kann! Die eine ist nüchtern, die andere braucht Kerzen um sich herum. Das ist ein persönlicher Ausdruck ihres Lebens - das ist wichtig…
SR. BERNADETTE: …genau wie das Gespür für die Privatsphäre der anderen, die ich nicht antaste. Gerade in unseren geschlossenen Gemeinschaften muss man diesen Raum achten.

Ganz privat: Haben Sie eine Vorstellung vom kleinen Glück?
SR. MAGDALENE: Die Augenblicke, in denen es in einem explodiert und man weiß: Ich hab es, habe mein Leben gefunden! Das sind Momente der totalen Beheimatung, der Erfüllung. Aber es gibt auch dieses andere Glück: das Neugeborene der eigenen Schwester auf dem Arm zu haben…
SR. BERNADETTE: Eine alte Schwester hat neulich gesagt: "Was bin ich froh, dass ich sein kann, wie ich bin." Das kam so glücklich, so befreiend... Das Wissen darum, angenommen zu sein - das ist Glück.