Glaubensquelle

Ordensgeschichte und Geschichten aus dem Leben der Gründer

Benedikt und Scholastika

Will man etwas über die Person und das Leben des Heiligen Benedikt (ca. 480-ca.547) erfahren, so kann bzw. muss man sich dazu auf zwei unterschiedliche Quellen stützen: Zum einen auf die von ihm selbst verfasste Regel und zum anderen auf die von Papst Gregor dem Großen (um 540-604) gut ein halbes Jahrhundert später geschriebene Vita (Lebensbeschreibung) des Mönchvaters.



Die Regel Benedikts spiegelt seine praktische und geistliche Erfahrung als Gründer und Vater einer Mönchsgemeinde wieder und gibt mit ihrer Prägnanz, Bestimmtheit und Flexibilität einen bis heute lebbaren Rahmen für monastisches Leben. In der Lebensbeschreibung können wir Benedikts Weg hin zu eben der Gründergestalt des abendländischen Mönchtums verfolgen, bis zu seiner Vollendung im Tod.

 


Nur in dieser Vita erfahren wir in zwei Kapiteln etwas über die Heilige Scholastika, die Schwester Benedikts. In der Erzählung von der Begegnung der beiden wird deutlich, dass geistliche Begegnung und Begleitung ein wesentliches Element des kontemplativen Lebens ist und dass es nicht auf das Können und Vermögen, auf das Einhalten von Gesetzen und Regeln ankommt, sondern dass die Liebe das Größte ist. Und dass sie, die Liebe, es ist, die zur Vollendung führt. Bezeichnenderweise finden sich diese Kapitel gegen Ende der Vita und damit auch gegen Ende des Lebens Benedikts und Scholastikas.

Das Wunder der Heiligen Scholastika

(II,33,1)
GREGOR: Petrus, gibt es jemanden in diesem Leben, der höher steht als Paulus? Dreimal hat er wegen des Stachels in seinem Fleisch den Herrn gebeten (vgl. 2Kor 12,8-9) und konnte doch nicht erhalten, was er wünschte. Deshalb muss ich dir von dem ehrwürdigen Vater Benedikt erzählen, dass auch er etwas wollte, was er nicht erreichen konnte.

(II,33,2)
Seine Schwester Scholastika war von Kindheit an dem allmächtigen Gott geweiht. Sie war gewohnt, ihren Bruder einmal im Jahr zu besuchen. Der Mann Gottes ging jedes Mal zu ihr hinunter zu einem Gut des Klosters, das nicht weit entfernt lag.

Eines Tages kam sie wie üblich, und ihr ehrwürdiger Bruder stieg mit einigen Jüngern zu ihr hinab. Sie verbrachten den ganzen Tag im Lob Gottes und im geistlichen Gespräch. Bei Einbruch der Dunkelheit hielten sie miteinander Mahl.

Während sie noch am Tisch saßen und ihr geistliches Gespräch fortsetzten, wurde es spät. Da flehte die gottgeweihte Frau, seine Schwester, ihn an: "Ich bitte dich, lass mich diese Nacht nicht allein, damit wir noch bis zum Morgen von den Freuden des himmlischen Lebens sprechen können." Er antwortete ihr: "Was sagst du da, Schwester? Ich kann auf keinen Fall außerhalb des Klosters bleiben."

(II,33,3)
Es war so heiteres Wetter, das sich keine Wolke am Himmel zeigte. Sobald aber die gottgeweihte Frau die Weigerung ihres Bruders hörte, fügte sie die Finger ineinander, legte ihre Hände auf den Tisch und ließ ihr Haupt auf die Hände sinken, um den allmächtigen Gott anzuflehen. Als sie dann das Haupt vom Tisch erhob, blitzte und donnerte es so stark, und ein so gewaltiger Wolkenbruch ging nieder, dass weder der heilige Benedikt noch die Brüder in seiner Begleitung einen Fuß über die Schwelle des Hauses setzen konnten, in dem sie beisammen waren. Die gottgeweihte Frau hatte nämlich ihr Haupt auf die Hände gesenkt und Ströme von Tränen auf den Tisch vergossen. Dadurch erreichte sie, dass es aus heiterem Himmel zu regnen begann. Diese Regenflut folgte nicht erst nach dem Gebet, sondern Gebet und Regen trafen so zusammen, dass es schon donnerte, als sie das Haupt vom Tisch erhob. Im gleichen Augenblick erhob sie das Haupt, und der Regen strömte nieder.

(II,33,4)
Der Mann Gottes sah nun ein, dass er bei Blitz, Donner und dem gewaltigen Wolkenbruch nicht zum Kloster zurückkehren konnte. Da wurde er traurig und klagte: "Der allmächtige Gott vergebe dir, Schwester! Was hast du da getan?" Sie erwiderte ihm: "Sieh, ich habe dich gebeten, und du hast mich nicht erhört; da habe ich meinen Herrn gebeten, und er hat mich erhört. Geh nur, wenn du kannst. Verlass mich und kehre zum Kloster zurück!"

Da er das Haus nicht verlassen konnte, blieb er gegen seinen Willen, nachdem er freiwillig nicht hatte bleiben wollen. So konnten sie die ganze Nacht durchwachen, in heiligen Gesprächen ihre Erfahrungen über das geistliche Leben austauschen und sich gegenseitig stärken.

(II,33,5)
Deshalb habe ich gesagt, er habe etwas gewollt und es doch nicht vermocht. Wenn wir auf die Vorstellungen des heiligen Mannes schauen, so besteht kein Zweifel, dass er gewünscht hat, das heitere Wetter möge so bleiben, wie es bei seinem Kommen gewesen war. Ganz gegen seinen Willen stand er vor einem Wunder, das die Kraft des allmächtigen Gottes nach dem Herzenswunsch einer Frau gewirkt hatte. Es ist nicht zu verwundern, dass die Frau, die ihren Bruder länger zu sehen wünschte, in diesem Augenblick mehr vermochte als jener.

Nach einem Wort des Johannes ist Gott die Liebe (vgl. 1Joh 4,8.16); So ist es ganz richtig: jene vermochte mehr, weil sie mehr liebte.

PETRUS: Ich muss gestehen, was du sagst, gefällt mir sehr gut.

Der Tod der Heiligen Scholastika

(II,34,1)
GREGOR: Am nächsten Tag kehrte die ehrwürdige Frau wieder in ihre eigene Zelle zurück, und auch der Mann Gottes ging heim in sein Kloster.

Drei Tage darauf stand er in seiner Zelle. Er erhob die Augen zum Himmel, da sah er die Seele seiner Schwester, die aus dem Leib geschieden war, in Gestalt einer Taube (vgl. Lk 3,22) zum Himmel aufsteigen und in die Vollendung eingehen.

Er freute sich über ihre so große Herrlichkeit, dankte dem allmächtigen Gott mit Hymnen und Lobliedern und teilte den Brüdern ihren Tod mit.

(II,34,2)
Sogleich schickte er Brüder hin, die ihren Leichnam ins Kloster bringen und in dasselbe Grab legen sollten, das er für sich vorbereitet hatte. So traf es sich: Selbst das Grab konnte ihre Leiber nicht trennen, war doch ihr Geist immer in Gott eins gewesen.

Aus: Kapitel 33 und 34 aus der Lebensbeschreibung Benedikts. Literaturangabe: Gregor der Große, Der heilige Benedikt. Buch II der Dialoge. Lateinisch/Deutsch, hg. im Auftrag der Salzburger Äbtekonferenz, Sankt Ottilien 1995.

Franz von Sales und Johanna Franziska von Chantal

Eine kleine Begebenheit aus dem Leben des hl. Franz von Sales und der hl. Johanna Franziska von Chantal:

Franz von Sales ersehnte sich für die Neugründung des Ordens von der Heimsuchung Mariae Töchter des Gebetes, die insbesondere große Demut und Sanftmut ausstrahlen. Als Mutter und Oberin der neuen Kongregation sollte Johanna Franziska als vorbildliches Beispiel vorangehen, so hatte Franz von Sales sie liebevoll angeleitet. Am Tage der Eröffnung, welchen Weg er für sie vorgesehen hatte, stellte er sie noch einmal auf die Probe, ob sie auch alles gehorsam mit Gleichmut aus der Hand Gottes annehmen würde.

So begann er an jenem Tag: "Nun, meine Tochter, ich habe entschieden, was ich aus Ihnen machen will." "Und ich, mein Herr und Vater", sagte sie, "bin entschlossen, zu gehorchen." "Ich möchte, dass Sie eine Tochter der hl. Klara werden." "Ich bin bereit, mein Vater, so gehe ich denn zu den Klarissen." Nach einer Pause sagte der heilige Stifter: "Nein, ich möchte, dass Sie Karmelitin werden." "Gut, mein Vater, so werde ich Karmelitin." Franz von Sales hatte noch mehr Vorschläge. Johanna von Chantal erklärte sich jedes Mal sofort und ergeben, ohne ungeduldig zu werden, bereit, den Weg zu gehen, den er vorschlug.

Er fühlte in seinem Herzen über ihre Tugend eine große Zufriedenheit und eröffnete ihr dann seinen Entschluss, eine neue Kongregation zu gründen und sie, Johanna Franziska von Chantal sollte die Gemeinschaft leiten. Dies war für sie eine große Überraschung. Mit ganzer Hingabe an den Willen Gottes nahm sie sich dieser Aufgabe an und wurde ein leuchtendes Beispiel an Demut und Güte für alle ihre Töchter bis zum heutigen Tag.

Klara und Franziskus

Zwei, die aus derselben Quelle trinken
Eine Legende

Klara und Franziskus wollten sich nach langer Trennung wieder sehen. Sie vereinbarten einen Ort in einem Tal bei Assisi, an dem sie sich gerne aufhielten. Auf dem Grund des Tales hatte sich ein Bach ein Bett gegraben. Nun kam es, dass Klara zur vereinbarten Zeit auf der einen, Franziskus auf der anderen Seite des Baches ankam.

"Komm rüber!"

Sie standen nur wenige Meter voneinander entfernt, aber der Bach trennte sie. Klara rief Franziskus zu: "Komm rüber!" Franziskus aber wehrte ab: "Das Wasser ist tief und reißend, es würde mich umbringen. Lass uns eine Brücke suchen."

Sie suchten eine Brücke, aber es gab keine. "So können wir uns heute nicht begegnen, gehen wir nach Hause!", sagte Franziskus traurig. Klara aber war beharrlich: "Wir gehen den Bach hinauf bis zur Quelle. Dort ist das Wasser niedrig, wir können hindurchwaten und zusammenkommen."

Quelle

So wanderten sie den Lauf des Baches hinauf. Der Weg wurde steil und anstrengend. Es dauerte Stunden. Aber die Freude, miteinander sprechen zu können, ließ Franziskus und Klara die Hindernisse mühelos überwinden.

Schließlich kamen sie zur Quelle des Baches. Sie war lauter und klar. Sie spürten Durst. Sie schöpften mit den Händen Wasser aus der Quelle und tranken es wie eine Köstlichkeit. Das Wasser war wie ein Spiegel, darin Klara und Franziskus ihr eigenes Bild fanden.

Unterwegs

"So ist unser Leben", sagte Klara, "wir sind unterwegs, jeder auf seinem Weg. – Menschen sind nicht geschaffen, einander zu haben und festzuhalten, Menschen sind geschaffen, miteinander zu ihrer Quelle zu finden. Menschen sind geschaffen, Gott zu genießen."

Aus: Mulier fortis – Klara von Assisi. Ein geistliches Spiel