Die Spur der Stille
Für Dr. Eva-Maria Streier bedeutet "kontemplativ": offen werden für Gott
1. Sie verbringen jedes Jahr einige Tage in der Abtei Burg Dinklage. Als Gast bei Schwestern, die kontemplativ leben. Warum?
Ich fahre jedes Jahr drei bis vier Mal für einige Tage, manchmal auch für eine Woche nach Dinklage. Es ist für mich inzwischen wie ein Nachhause-Kommen, eine Einkehr an einem Ort der Sammlung, der Kraft, der inneren Mitte.
2. Wie gestalten Sie hier Ihren Tag?
Ich nehme an den Gebetszeiten teil und bin immer wieder erstaunt, wie viel Zeit dennoch am Tag und Abend bleibt. Der Wechsel kommt mir vor wie ein bewusstes Ein- und Ausatmen. Ich kann mich in Dinklage häufig besser konzentrieren als in meinem Alltag – schreibe, lese, gehe mit einem Psalm oder einer Bibelstelle um. Die Zeit wird intensiv; schon wenige Tage bedeuten Abstand und führen zurück zur eigenen Mitte.
3. Was bedeutet Ihnen hier "Stille"? Wie "fühlt" sie sich an?
Die Stille ist kostbar, heilsam, ersehnt. Es ist eine erfüllte Stille im Unterschied zu einer abrupten, unruhig machenden Stille, wie sie manchmal, etwa durch den Wegfall eines Termins, den Alltag unterbricht. Bedrückend oder leer habe ich die klösterliche Stille noch nie empfunden.
4. Ist es eine Selbst- oder ist es die Erfahrung Gottes, die Sie hier suchen/machen?
Ist eine wirkliche und ehrliche Selbsterfahrung nicht immer auch eine Gotteserfahrung? Wenn ich als gläubiger Mensch versuche, zu meinem innersten Kern vorzudringen, zur Spitze meiner Seele, die mich ausmacht, suche ich nach Gottes Spur in mir. Ich laufe auch gerne am Meer, freue mich an meditativem Tanz oder befasse mich mit dem Enneagramm – aber all dies führt im Ergebnis nur zu Vorläufigkeiten.
5. Können Sie die Intensität der Erfahrung, die Sie in den Tagen auf Burg Dinklage machen, beschreiben?
Ein paar Tage auf Burg Dinklage machen mir das Herz weit, ich fühle mich getragen und damit leichter, ich liebe die Natur rund um die Burg zu allen Jahreszeiten – weil ich sie anders sehe. Eine der wichtigsten Erfahrungen für mich als allein lebendem Menschen ist es, selbstverständlicher Teil einer größeren Gemeinschaft zu sein – im konkreten Leben dort und übertragen auf das Volk Gottes.
6. Wie lange ist diese Erfahrung der Stille "in" Ihnen im Alltag haltbar?
Es ist schwer, die Erfahrung der Stille in meinem Alltag wach zu halten. Vor allem, weil die Gemeinschaft fehlt, die das Stundengebet trägt. Aber ich versuche doch, am Abend eine Zeit der Rückbesinnung auf den Tag, der Stille und Kontemplation zu finden. Und es gibt eine Spur, die sich vertieft, und die zeigt, dass Gott mein Leben in seiner Hand hält. Auch wenn manche Erfahrungen eben dieses Lebens dagegen zu sprechen scheinen.
7. Was also ist für Sie "kontemplativ"?
Kontemplativ heißt für mich, offen zu werden für Gottes Wort an mich, ihn zu erfahren, zu erleben, beschenkt zu werden. Eben nicht, sich den Weg zu ihm zu erarbeiten. Und diese Haltung ist für zielgerichtet arbeitende Menschen wie mich zunächst schwer nachzuvollziehen. Bei einer Israel-Reise mit den Schwestern im vergangenen Jahr habe ich erstmals in Galiläa im Ansatz erlebt, was Fülle des Lebens bedeuten kann. Diese Spur möchte ich nicht wieder verlieren.
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